Passo Carrabile
Unter dem bezeichnenden Slogan und Motto „Passo Carrabile“ – was übersetzt soviel wie „Durch- /Einfahrt freihalten“ bedeutet – findet in den Räumlichkeiten der AREA53 eine Ausstellungspremiere von insgesamt 8 jungen italienischen Künstler/innen statt. Nun könnte man sich natürlich die berechtigte Frage stellen, wo die Berührungspunkte zwischen der lombardischen, ca. 40 km von Mailand entfernten Stadt Como und der österreichischen Metropole zu verorten sind. Die äußerst fruchtbare Zusammenarbeit von Mounty R. P. Zentara, Künstler und Chef der AREA53, und Fabrizio Bellanca aus Como beruht auf einer ganzen Reihe von glücklichen Verkettungen diverser, auf Zufallsprinzipien beruhender Umstände. Die Geschichte nahm mit einer Ausstellung Fabrizios in Como ihren Anfang, die meine (ahnungslose) Wenigkeit im Sommer 2008 unvermuteter Weise besuchte und mündete schließlich in der (arrangierten) Bekanntschaft zwischen Mounty und Fabrizio in Wien, die letztendlich sämtliche, bereits realisierte Kunstprojekte zur Folge hatte: “Le stanze dell’Arte” Werfen wir nun einen Blick hinter die Kulissen von „Passo Carrabile“ auf die einzelnen Künstlerpersönlichkeiten und ihre Exponate.
Fabrizio Bellanca, Graphiker, Maler und Musiker, bestritt seine künstlerische Karriere im Spannungsfeld zwischen Informatik und Kunst, ein Konflikt, der ihn letztlich zu einer sehr abstrakt-spirituellen Formensprache führen sollte. „Light Wing I & II“ (2009) fungiert als ein besonders ästhetisches Exempel für Bellancas unkonventionelle Suche nach seinem Innersten, seiner verborgenen seelischen Existenz, die er in seinem Schaffen immer wieder thematisiert. Die Gravuren auf den verspiegelten Stahlplatten fungieren nicht nur als Spiegelbild für Emotionen in Form von schwebenden organischen Motiven, die durch symbolisch anmutende Zeichen wie Hand und Stern durchbrochen werden; Durch Lichteinwirkung eröffnen sie durch ihre Projektionen eine zusätzliche Dimension im realen Raum.
Für Marco Besana ist die Fotografie laut eigenem Statement “Droge und zugleich Entzug, Essenz und Überflüssigkeit, oder Oxymoron, das ihm erlaubt, Existenzen in Feuer und Flamme zu versetzen“. Besanas fotografisches Oeuvre lässt sich als geniale Kombination von medialer Sensibilität, spontanen Bildfindungen sowie ungewöhnlichen Blickwinkeln und Perspektiven auf das jeweilige Objekt charakterisieren. „Dentro di Testa“ (2007) kann als humoristisch-ironische und vielleicht auch nicht unkritische Anspielung auf eine kollektive, alltägliche Hektik beruflicher Natur verstanden werden, in welcher wir des Öfteren dazu geneigt sind, den Kopf zu verlieren, sodass Grenzen zwischen Innen und Außen verblassen.
Der studierte Architekt und multimedial arbeitende Künstler Filippo Borella zeigt sich auch auf theoretischer Ebene als versiert, zumal er das sogenannte „Studio Trickster“ für künstlerische Recherche im sozialen Umfeld initiierte. Zentrale Rolle spielt für Borella die Erkundung der Polarität zwischen Invention und Gestaltung, im engeren Sinne die Auslotung der Komponenten Räumlichkeit und Oberfläche, die er in persönliche, interaktive Kunstwerke mit skulpturaler Konnotation übersetzt. „Patch Painting“ (2009) ist als eine derartige medienüberschreitende Arbeit zu bezeichnen, welche den klassischen „Paragone“ gewitzt ins Visier nimmt und die Doppeldeutigkeiten bzw. externen Anleihen einer einzelnen Gattung aufzeigt.
Experimentierfreude, Multimedialität und ein besonderes Talent für innovative Kompositionen kennzeichnen auch das Schaffen des Malers und Restaurators Andrea Borgonovo. Materialien wie Holz, geätztes Eisen, Polyvinylacetat und Zement finden ebenso Verwendung wie die Fotografie und Mischtechniken auf Papier. Thematische Inspirationsquellen entdeckt Borgovono immer wieder in subtilen Identitätskonzeptionen und den verschiedensten Realitätsansprüchen menschlicher Intimität im Werk von Künstlern wie Dichtern, Schriftstellern, Musikern etc. Seine kontrastreiche Arbeit ohne Titel (2009) scheint von einem stark existentialistischen Grundton geprägt zu sein, betrachtet man die auf dunklen Grund gesetzte, isolierte menschliche Figur.
Die zerrissene menschliche Existenz und ihre kulturelle Identität im postkolonialen Kontext einer von Globalisierungstendenzen gekennzeichneten Welt formiert ein wesentliches künstlerisches Anliegen von Marco Brenna. Ist der Mensch tatsächlich des eigenen Glückes Schmied oder Spielball von schicksalsträchtigen höheren Mächten? Eine Frage, die sich in Anbetracht von Brennas Arbeit „Homo faber fortuna sue“ (2008) stellen ließe. Die intensive Ausdruckskraft des archaisch-exotischen Antlitzes, dem zugleich eine melancholische Aura eigen ist, resultiert aus einem kräftigen malerischen Duktus sowie den bildabwärts verlaufenden schmalen Farbflüssen. Verschiedene Details sowie die materielle Beschaffenheit diverser italienischer Straßen und Gassen formieren einen umfangreichen thematischen Komplex im Schaffen von Enrico Cazzaniga. Eine zentrale Rolle kam dabei – wie der Künstler selbst anmerkte – seinem alten Range Rover zu, der ihn auf sämtlichen Reisen begleitete und im Zuge der Ausstellung in einem Video zu sehen ist. „Fuori Strada“ (2009) fokussiert einen Ausschnitt eines Zebrastreifens, der dem Betrachter auf einer Aluminiumplatte in Form von montierten schwarz-weißen Asphaltpartikeln vor Augen geführt wird und somit durchaus starke Assoziationen zu minimalistischen Gemälden evoziert. „Recycling“ oder die kreative Transformation von Schrott in skulpturale Objekte mit hohem künstlerischen Anspruch kennzeichnen die Arbeiten des jungen Bildhauers Matteo Galvano. Zahlreiche Skizzen mit Kugelschreiber formieren die Basis für seine Konstruktionen aus vorgefundenen Abfallmaterialen technischen Ursprungs, die vorwiegend animalische oder anthropomorphe Züge aufweisen. Dieser transformative Prozess, der als Galvanos künstlerische Praxis und Markenzeichen fungiert, ist in Anbetracht seiner Arbeit „Buffalo” (2009) auf eindrucksvolle Weise nachvollziehbar: Resultat der Montage von verschiedenen Bestandteilen eines Motorblocks ist die Geburt eines neuen, tierisch anmutenden Vierbeiners. Von besonderem Interesse ist auch die letzte künstlerische Position, die in der Ausstellung “Passo Carrabile” präsentiert wird. Es handelt sich dabei um Simona Muzzeddu, deren Laufbahn von einer kontinuierlichen und zugleich konsequenten Suche nach Ausdruck bestimmt ist. Die Obsession der Puppe innerhalb der Fotografie kann auf eine längere Tradition zurückblicken, denkt man an Arbeiten von Hans Bellmer oder Cindy Shearman. Als verschmutztes Artefakt mit ausgebreiteten Armen, übergroßen blauen Kulleraugen und einem kindlichen Lächeln erscheint diese in Muzzedus Werk inszeniert auf einem Müllhaufen liegend. Verunsicherung mach sich breit: Fungiert sie als Stellvertreter für ein Geschöpf aus Fleisch und Blut oder ist sie bloßes künstliches Fabrikat, also abgenutztes, unbrauchbares und daher entsorgtes Spielzeug? Die Künstlerin lässt das fotografische Puppenbild zu einer aktiven Instanz generieren, die unsere Erwartungshaltung und Wahrnehmungsmuster auf brisante und sicherlich nicht unkritische Art vorführt. Como, feel welcome in Vienna! Eine abschließende Bemerkung, die durchaus angebracht ist, erkundet man die erfrischenden Arbeiten dieser 8 jungen Künstler/innen in der AREA53.
Julia Allerstorfer – Kritikerin
October 2009